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Titel
Meine Familie und ihr Henker. Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung


Autor(en)
Frank, Niklas
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Ulrich Trebbin, Hörfunkautor, Bayerischer Rundfunk / Traumatherapeut, München

„Schmutzige Wäsche“ ist gar kein Ausdruck für das, was Niklas Frank da – mit vollem Recht – an die Öffentlichkeit bringt: In den von ihm kommentierten Briefen seiner Eltern, Hans und Brigitte Frank, offenbart sich den Lesenden Lug und Trug der Eheleute voreinander, vor ihren Kindern, vor der Welt und wohl auch vor sich selbst; Feigheit, der Wahrheit ins Auge zu sehen und sich zu den eigenen Verbrechen zu bekennen.

Das Ehepaar hat Karriere gemacht im Dritten Reich. Als Hitler-Putsch-Teilnehmer ist Hans Frank ein Mann der ersten Stunde. Der studierte Jurist wird früh Hitlers Rechtsanwalt, gründet 1928 den „Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ und damit die erste Fachorganisation der NSDAP, avanciert mit verschiedenen Ämtern zum obersten Juristen der Partei, wird nach der Machtergreifung Bayerischer Justizminister, später Reichsminister ohne Geschäftsbereich und 1939 nach dem Überfall auf Polen der dortige Generalgouverneur.

Als solcher ist er Chef der Zivilverwaltung und verschleppt eine Million Menschen zur Zwangsarbeit in deutschen Fabriken, lässt die polnischen Jüdinnen und Juden in Ghettos internieren, damit sie alsbald nach Treblinka oder Majdanek deportiert werden können, und er verantwortet – auf „seinem“ Territorium – politisch den Völkermord in den Vernichtungslagern. Bald ist sein Beiname „Schlächter von Polen“, und an den Enteignungen bereichert Hans Frank sich dermaßen, dass es im Volksmund heißt: „Im Westen liegt Frankreich und im Osten wird Frank reich.“ Seine Gemahlin Brigitte klappert unterdessen im Mercedes-Cabriolet die Ghettos ab und kommt schwer bepackt mit Pelzmänteln und Schmuck zurück nach Hause auf die Burg am Krakauer Wawel, wo einst die polnischen Könige residierten. In vollem Ernst nennt sie sich die „Königin von Polen“.

Ihr Jüngster Niklas Frank (geb. 1939) hat sich – im Gegensatz zu seinen vier Geschwistern – mehrfach in Büchern an dem verbrecherischen Erbe seiner Eltern abgearbeitet. Nun können wir dank seiner verdienstvollen und sicher schmerzhaften Auseinandersetzung die Briefe lesen, die zwischen der Verhaftung Hans Franks durch die Amerikaner und seiner Hinrichtung anderthalb Jahre später zwischen dem Gefängnis in Nürnberg und seiner Familie am oberbayerischen Schliersee hin- und hergingen. Von der ersten Zeile an merken wir, dass wir es mit gebildeten Menschen zu tun haben, welche Freude an klassischer Musik haben und sich gewählt und auch mal literarisch ausdrücken können – wenn auch zwischendurch manieriert. Umso fassungsloser sehen wir, dass diese Bildung nicht zu angemessenem Schuldbewusstsein geführt hat.

Der Mitangeklagte im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess schreibt seiner „herzlieben Brigitte“ stattdessen von Nebensächlichkeiten, von seinen jüngst entdeckten religiösen Empfindungen oder pathetisch von seinem heroischen Endkampf, den er gar mit dem seines Herrn Jesus vergleicht: „Immer düsterer wird die Nacht, durch die ich die entsetzliche Last meines Kreuzes zu schleppen habe. Aber Gott gibt mir Kraft und Glauben!“ (S. 138) Wenn er selten einmal darüber spricht, warum er überhaupt vor Gericht steht, dann wälzt er die Schuld auf andere ab: „Der Prozess ist für mich eine schauerliche Offenbarung, wie sehr doch Adolf Hitler uns, unser Volk und die ganze Welt belogen und betrogen hat. Es ist furchtbar, welch ein unfassbares Elend auf diese Weise über die Welt und unser armes Volk gekommen ist.“ (S. 146) Vor Gericht mimt er zwar den Büßer, gibt aber nirgendwo Butter bei die Fische: „Ich habe niemals Judenvernichtungslager eingerichtet oder ihr Bestehen gefordert: Aber wenn Adolf Hitler persönlich diese furchtbare Verantwortung auf sein Volk gewälzt hat, dann trifft sie auch mich.“ (S. 192f.) Immer wieder lässt er durchklingen, dass er das Tribunal als Siegerjustiz betrachtet.

Die „herzliebste Brigitte“ stilisiert den Ehemann in ihren Briefen gar zum Freiheitskämpfer: „Ich weiß auch am besten, wie sehr Du unter diesem System gelitten hast und doch immer wieder versuchtest, die Ideale zu retten, für die Du ja kämpftest.“ (S. 104) Ihre Raubzüge durch die Ghettos hat sie offenbar vergessen, ebenso, dass sie gehofft hatte, die Geliebte ihres Mannes loszuwerden, indem sie bei Himmler den Verdacht streute, sie sei „jüdischen Blutes“. Auch sie verschließt die Augen, als Reporter aus dem Gerichtssaal von der Todesindustrie in Auschwitz berichten: „Was haben wir denn davon gewusst?“, schreibt sie. „Was hast Du davon gewusst? Wer kann denn mit solchen Bestialitäten rechnen? Ach, Hans, jedem unserer Kinder würde ich abraten, Politiker zu werden! Was hat es uns gebracht? Gar nichts, und genommen alles! [...] Was haben wir gegenseitig voneinander gehabt, was von unseren Reisen? Alles Gehetze und Gejage und nichts wie Repräsentieren.“ (S. 158)

Der „liebe, gute Hans“ widerspricht ihr keineswegs, obwohl er noch vor Kriegsende seiner Geliebten gestand, dass er sehr wohl wusste, was sich in Auschwitz oder Sobibor abspielte. Vor seinem Ältesten Norman, der ihn abgöttisch verehrt, wäscht er seine Hände in Unschuld: „Dies war aber just mein Lebensproblem, als Jurist in eine völlig aus den Fugen geratene, wirre Auflösungsperiode geraten zu sein und in ihr mich so zu verstricken, dass allmählich das Politische völlig das Juristische auch als Lebensaufgabe zu verdrängen vermochte.“ (S. 167)

Die Heuchelei der Eheleute macht nicht einmal vor dem Privaten Halt. Obwohl ihre Ehe seit Jahren zerrüttet ist, obwohl sie einander bis zu seiner Haft keine Gehässigkeit erspart haben, wechseln die Franks nun süßliche Briefe, in denen sie sich gegenseitig ihrer Liebe und Wertschätzung versichern.

Vor unseren Augen entstehen zwei charakterlich schwache Menschen, die aus den Trümmern ihres Lebens die kärglichen Reste ihres Selbstwertes zusammenkratzen und sich mit erbärmlichen Lügen vor der vernichtenden Erkenntnis schützen, dass sie über Leichen gegangen sind, alle menschlichen Werte mit Füßen getreten haben und als Menschen rückgratlos auf ganzer Linie versagt haben – mit einem Wort, dass sie das personifizierte Böse geworden sind.

Als Leser und Zeitgenosse von heutigen Rechtsradikalen wünscht man sich, Hans Frank hätte seine Irrtümer und Verbrechen wenigstens vollumfänglich eingestanden und damit den Versuch unternommen, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus mit Stumpf und Stiel aus deutschem Denken zu entwurzeln. So aber können die Rechten sich immer noch auf ihn und seinesgleichen berufen. Das ist eine Last, die uns die NS-Täter hinterlassen haben. Der Begriff „Trauma der Verdrängung“ im Untertitel des Buches ist jedoch irreführend: Verdrängung ist die (oft notwendige) Folge von Traumata, aber nicht selbst ein Trauma.

Der ehemalige Stern-Journalist Niklas Frank kommentiert die Briefe seiner Eltern zornig, polemisch, höhnisch und manchmal auch sarkastisch bis ins Vulgäre: „Was für ein Quatsch“ (S. 132) schreibt er, „eitles Gesummse, vermischt mit Selbstmitleid“ (S. 210) „seine elende Bedeutungshuberei“ (S. 160), „Gelogen hat er wieder wie Bolle“ (S. 144), „Immer wieder dieses Geschwafel!“ (S. 168), „Hans schmalzt natürlich zurück“ (S. 142) oder: „An dieser Stelle möchte ich ihn aus verschiedenen Gründen mal wieder anspeien“ (S. 179).

Dieser Schaum vorm Mund ist unnötig, berührt den Leser peinlich und hilft uns nicht, den Sohn ernst zu nehmen und uns mit ihm zu identifizieren. So müssen wir schon zum Beispiel in die BR-Dokumentation „Vater Mörder“ (2015) hineinsehen, um dort einen wohltuend besonnenen, menschlichen und klugen Niklas Frank zu erleben, der scharfsichtig die rechtsradikalen Tendenzen der heutigen Deutschen erkennt. In einem Bericht von Stern-TV begleiten wir ihn sogar, wie er couragiert auf eine AfD-Veranstaltung geht, um sich mit deren Anhängern auseinanderzusetzen – allerdings fruchtlos.

So hätte den Briefen ein sachlicherer Herausgeber gutgetan, weil sie dann aus sich selbst heraus – und stärker – hätten wirken und weil die Lesenden sich ihre Meinung unbeeinflusst hätten bilden können. Andererseits zeigen Niklas Franks Zorn, Ohnmacht, Groll und vielleicht sogar Hass, wie zerstörerisch tief sich Kriegsverbrechen für Jahrzehnte in den Familien der Täter eingegraben haben. Aufschlussreich wäre jedoch gewesen, wenn Niklas Frank seine polemische Haltung auch erklärt hätte: Wir würden gerne noch besser verstehen, auf welche Weise und mit welchen Auswirkungen das Gift der elterlichen Täter konkret in sein persönliches Leben und seine Psyche geflossen ist und warum sich der über 80-Jährige bis heute nicht davon befreien kann. Vielleicht wäre das zu persönlich geworden, aber konsequent.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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